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Trauer ist keine Krankheit - oder doch? | Wenn Trauer krank macht

Trigger-Warnung: Dieser Beitrag befasst sich mit Tod, Trauer und psychischen Erkrankungen. Bitte lies ihn nur, wenn du dich dazu in der Lage fühlst, dich mit diesen Themen zu beschäftigen. Ziel des Artikels ist, über Trauer und psychische Krankheiten aufzuklären und Betroffene zu stärken. Am Ende des Artikels findest du außerdem Tipps und Hilfsangebote.

Trauer ist normal und vollkommen natürlich – und sie kann krank machen. Jeder Mensch verspürt Traurigkeit bereits als Kleinkind, denn sie ist eines der ersten Gefühle, die wir kennenlernen. Dennoch sind wir häufig verunsichert im Umgang mit Trauer – sowohl in unserem Umfeld als auch mit der eigenen. Dieser Beitrag soll diese Unsicherheit abbauen. Dazu wird im Folgenden der Begriff der Trauer definiert und „normale“ Trauer von einer sogenannten anhaltenden Trauerstörung so gut wie möglich abgegrenzt. Außerdem werden Therapiemöglichkeiten und Heilungschancen vorgestellt sowie Tipps und Hilfsangebote für Trauernde – vielleicht für dich oder eine Person in deinem Umfeld?

Was ist Trauer überhaupt?

Für den Begriff „Trauer“ gibt es im Duden zwei Definitionen:

1. „[tiefer] seelischer Schmerz über einen Verlust oder ein Unglück“

2. „[offizielle] Zeit des Trauerns nach einem Todesfall“

Trauer folgt keinen Regeln, obwohl hierüber viele falsche Annahmen existieren. Jeder Mensch trauert unterschiedlich lang und jeder Mensch trauert auf seine eigene Weise. Häufig hilft es den Betroffenen, ihre Trauer mit dem wissenschaftlichen Modell der Trauerphasen zu verknüpfen. Doch auch diese Phasen müssen nicht auf jede Person zutreffen. Trauer kann nicht nur durch den Verlust einer nahestehenden Person ausgelöst werden, sondern auch durch den Verlust von Dingen oder Lebensumständen. Stirbt ein geliebter Mensch, bringt dieser Einschnitt das seelische Gleichgewicht massiv durcheinander. Der Trauerprozess dient dazu, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Doch nicht nur Angehörige trauern, sondern auch Menschen, die unheilbar krank sind und im Sterben liegen. Sie müssen Abschied von allem nehmen.


Wann macht Trauer krank?

"Normale" Trauer

Die Grenzen zwischen „normaler“ Trauer und solcher, die krank macht, sind fließend und schwierig zu definieren. Normal ist aber in jedem Fall eine Trauerzeit über Monate oder Jahre, ebenso wie der Umstand, dass Trauer niemals ganz verschwindet. Im Normalfall sind zur Unterstützung des Trauerprozesses keine Medikamente oder Therapien notwendig. Trauer macht dann krank, wenn Trauerreaktionen sich nicht abbauen oder sich sogar intensivieren. Häufig wird pathologische (krankhafte) Trauer von anhaltenden somatischen Beschwerden begleitet.

Anhaltende Trauerstörung

Seit 2019 wird die „Anhaltende Trauerstörung“ (engl.: prolonged grief disorder) von der WHO als Krankheit klassifiziert. Hierbei handelt es sich um eine psychische Störung, bei der die Betroffenen eine pathologische Trauerreaktion aufgrund eines schwerwiegenden Verlustes entwickeln. Meist ist der Auslöser der Tod einer nahestehenden Person.

Für die Diagnose werden mehrere Kriterien herangezogen. Grundsätzlich übersteigt die Intensität der Trauerreaktionen den Normalfall deutlich und sie halten untypisch lange an (mehr als sechs Monate). Betroffene können den Verlust nicht akzeptieren, beschäftigen sich übermäßig viel mit der verstorbenen Person und/oder entwickeln eine andauernde krankhafte Sehnsucht nach dieser. Sie empfinden starke und sehr schmerzhafte Emotionen wie Trauer, Wut und Schuld, verleugnen den Verlust oder machen sich Vorwürfe deswegen. Sie sind emotional taub, haben das Gefühl, einen Teil von sich verloren zu haben oder sind unfähig, positive Emotionen zu empfinden. Darüber hinaus finden Betroffene häufig nicht mehr aus dem Loch der Trauer zurück in das soziale Leben und soziale Interaktionen oder Aktivitäten fallen ihnen schwer. Die anhaltende Trauerstörung beeinträchtigt die Betroffenen in allen Lebensbereichen – sowohl im persönlichen und familiären Umfeld als auch auf der Arbeit oder in der Schule.

Therapie & Heilung

Du kannst dich mit den vorherigen Aspekten identifizieren? Dann an dieser Stelle noch mal der Hinweis: Die nachfolgend erläuterten Inhalte der Therapie können beängstigend für Betroffene wirken. Wir neigen dazu, negative Gefühle und die Auseinandersetzung mit ihnen zu vermeiden. Für die Heilung und die Linderung des Schmerzes, den Trauer verursacht, ist die Auseinandersetzung aber entscheidend.

Inhalte der Therapie

Betroffene können eine anhaltende Trauerstörung mithilfe einer Psychotherapie gut überwinden. Sie werden durch den Prozess der Trauerbewältigung unterstützt und begleitet, wieder zurück in einen selbstständigen Alltag zu finden und den Todesfall akzeptieren zu können. Die effektivste Methode ist eine kognitive Verhaltenstherapie. Es gibt verschiedene Ansätze, die sich hauptsächlich in der Anzahl der Sitzungen unterscheiden. Zwölf bis 25 Sitzungen sind in Einzel- oder Gruppenformaten möglich. Gemeinsam haben die Ansätze das Ziel der psychischen Stabilisierung der Betroffenen und ihre Motivation für neue Ziele. Zentrale Methoden sind die sogenannte Exposition (Konfrontationsverfahren) und die kognitive Umstrukturierung. Die Konfrontation zielt darauf ab, Vermeidungsmechanismen abzubauen und die Betroffenen zu befähigen, sich mit emotionalen und körperlichen Reaktionen auseinanderzusetzen. Bei der kognitiven Umstrukturierung werden negative Gedanken und Schuldgefühle in Bezug zur Realität überprüft und abgebaut. In der Therapie nimmt der Alltag der Betroffenen einen wichtigen Platz ein. Sie lernen Strategien, um sich im neuen Leben einzufinden und Gefühle wie Einsamkeit und Überforderung zu bewältigen. Viele Betroffene der anhaltenden Trauerstörung vermeiden die Auseinandersetzung mit ihrem Schmerz. Dieser Schritt ist aber zentral für die Heilung.

Kritik am Krankheitsbild

Die anhaltende Trauerstörung wird aus verschiedenen Perspektiven kritisiert. Zum einen wurde das Krankheitsbild lange nicht als eigenständig anerkannt, da andere Krankheitsbilder wie Depression, Angststörung oder Posttraumatische Belastungsstörung ähnliche Symptome aufweisen. Mittlerweile ist aber klar, dass der Fokus des Krankheitsbildes und die Symptome sich stark unterscheiden. Zudem wird der Begriff „Störung“ kritisch betrachtet. Schließlich ist Trauer ein normaler und existenzieller Prozess, der in jedem Menschen unterschiedlich vorgeht. Trauer als eine Krankheit oder Störung zu betrachten, wird daher oft kritisiert. Trotz dieser Kritik hilft die anhaltende Trauerstörung als eigenständige Diagnose dabei, den Umgang mit Trauer zu sensibilisieren. Betroffene suchen und finden so eher Hilfe und fühlen sich ernst genommen.

Hilfe

Jeder Mensch trauert anders. Das heißt, es gibt kein allgemeingültiges „Rezept“ zur Heilung und Überwindung von Trauer. Nur du kannst herausfinden, was dir guttut und deinen Trauerprozess unterstützt.

Der wichtigste Tipp: Such dir Hilfe! Häufig scheuen wir davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, aus Angst zu übertreiben und vor einer Therapie an sich. Sprich mit deinem Hausarzt oder recherchiere im Internet nach Therapie-Angeboten in deiner Nähe, z. B. auf therapie.de.

In diesem AFK-Artikel findest du mehr Tipps zur Trauerbewältigung. Nachfolgend findest du einige Angebote, die speziell auf Trauerbewältigung ausgelegt sind – für dich ist bestimmt etwas dabei:

-        Telefonseelsorge im akuten Notfall

-       Selbsthilfegruppen zum Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen

-        Austausch mit anderen Betroffenen in Trauerforen

-        Trauergruppen auf Social Media

-        Professionelle Trauerbegleitungen

Papierblätter als Symbolbild für Rechtliches.

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Johanna Moser

Johanna Moser

Redakteurin

Das schriftliche Wort ist schon seit meiner Kindheit meine größte Leidenschaft. Ich liebe es, Geschichten zu lesen, zu hören, anzusehen und natürlich zu schreiben! Deshalb studiere ich Online Redaktion an der TH Köln und bin als selbstständige Journalistin, Texterin und Web-Designerin tätig. Außerdem sind mir Menschen und Menschsein sehr wichtig. Wir alle haben ein emotionales Inneres, das oft leider zu kurz kommt und verdrängt wird. Um Raum und Aufmerksamkeit für unser psychisches Wohlbefinden zu schaffen, schreibe ich für AFK.